New Work ist wie Bielefeld

Prozessoptimierung ist wie Kutsche tunen
25. September 2019
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10. November 2019

Machen wir es kurz: Es gibt zwei Din­ge, die es über­haupt nicht gibt. Wobei bei Bie­le­feld bin ich mir da gar nicht so sicher. Ganz im Gegen­satz zum Begriff „New Work“. Offen­sicht­lich ist er mit sei­nem an die Capi­ta­le der Welt erin­nern­den Klang für vie­le so anzie­hend, dass er 2019 zum domi­nie­ren­den Mode­be­griff avan­ciert ist. Xing benann­te sich vor kur­zem in New Work SE um und täg­lich gibt es neue Ver­an­stal­tun­gen, die den Begriff auf die eine oder ande­re Art kom­mer­zi­ell für sich zu nut­zen versuchen.

Alle, die ihn hören und mit gro­ßer Hoff­nung auf­schau­en, muss ich ent­täu­schen, denn nichts an der Arbeit in den aus­ge­hen­den 2010er-Jahren ist neu im Wort­sinn. Wir könn­ten aller­höchs­tens kon­sta­tie­ren, dass sich die „Arbeits­schwer­punk­te“ für den Men­schen ver­scho­ben haben. „New Major Acti­vi­ties“ gewis­ser­ma­ßen. Klingt aber nicht so schön.

Denn heu­te gibt immer weni­ger Auf­ga­ben, die wie­der­keh­rend gleich sind. In Unter­neh­men also, die sich kon­se­quent um Auto­ma­ti­sie­rung bemü­hen, ver­lie­ren die Men­schen die­sen oft auch als mono­ton emp­fun­de­nen Teil ihrer Arbeit an die Maschi­nen, Com­pu­ter und Smart­phones. In der ers­ten Wel­le waren das Montage- und Prüf­auf­ga­ben, Auf­trags­er­fas­sung, Zah­lungs­ver­kehr und ähn­li­che. In der zwei­ten Wel­le wer­den die ver­blie­be­nen logis­ti­schen Hand­ha­bun­gen sowie die Beleg­erken­nung auto­ma­ti­siert. Damit sind die­se Tätig­kei­ten jetzt „Machi­ne Work“ und aus Sicht der Men­schen „Lost Work“.

Die ent­ste­hen­de Lücke füllt der Teil der Arbeit, in dem es dar­um geht, Neu­es zu schaf­fen. Neue Auto­ma­ti­sie­rungs­lö­sun­gen zu fin­den und ein­zu­füh­ren oder neue Pro­duk­te, Markt­an­ge­bo­te und Ver­kaufs­we­ge zu eta­blie­ren. Gera­de dort spielt zuneh­mend die Musik, wo in Klein­pro­jek­ten neue Lösun­gen ent­ste­hen. Weil die Indus­trie kei­ne orga­ni­sa­to­ri­schen Lösun­gen zur Hand hat­te, erfolg­reich mit die­ser Art der Arbeit umzu­ge­hen, hat sich die Software-Industrie auf­ge­macht und unter dem Stich­wort „agil“ ein neu­es Instru­men­ta­ri­um ent­wi­ckelt, das zuneh­mend auch in Pro­dukt­ma­nage­ment, Ver­trieb, Busi­ness Deve­lo­p­ment und Kon­struk­ti­on klas­si­scher Bran­chen Anwen­dung fin­det. Dabei han­delt es sich am ehes­ten um „New Pro­ject Work Solutions.“

Also von „New Work“ immer noch kei­ne Spur. Als Nächs­tes schaue ich mir an, was die Ver­fech­ter und Pira­ten des Begrif­fes dar­un­ter ver­ste­hen. Da fin­den wir eine amor­phe Samm­lung von Prin­zi­pi­en, Stich­wor­ten und als Impe­ra­tiv for­mu­lier­ter Ideen. Begrif­fe wie Frei­heit, Sinn, Wei­ter­ent­wick­lung und Selbst­ver­ant­wor­tung. Aber auch von Wert­schät­zung ist die Rede bis hin zu Äußer­lich­kei­ten wie Home Office und dem Weg­las­sen von Kra­wat­ten. Die Bunt­heit der Gedan­ken ist ver­mut­lich eben­so Ursa­che für die rasan­te Ver­brei­tung, wie sie für mich ver­wir­rend ist.

Etwas wei­ter geforscht fin­de ich den zen­tra­len Gedan­ken der Bewe­gung: Die Auto­ma­ti­sie­rung führt immer mehr dazu, dass die Men­schen sich mit der Fra­ge kon­fron­tiert sehen: „Was willst du in Zukunft im Arbeits­le­ben machen?“ Ja, natür­lich, den­ke ich, das ken­nen wir seit 50 Jah­ren unter dem Stich­wort Berufs­be­ra­tung. Und natür­lich müs­sen sich unse­re Kin­der mehr Gedan­ken als frü­her machen, was sie beson­ders gut kön­nen, wenn sich beruf­li­che Mög­lich­kei­ten eben­so aus­dif­fe­ren­zie­ren wie die indi­vi­du­el­len Talen­te der Men­schen. Das ist dann eine Her­aus­for­de­rung ins­be­son­de­re für unse­re Bil­dungs­trä­ger, viel­leicht unter dem Stich­wort „New Education“.

Und was bedeu­tet das für die, die sich bereits irgend­wo auf ihrer beruf­li­chen Rei­se befin­den? Da wird gesagt, Arbeit müs­se zukunfts­wei­send und sinn­stif­tend sein. Das ist ein Stück weit tau­to­lo­gisch, wenn wir uns nur in Erin­ne­rung rufen, dass die wie­der­keh­ren­de Arbeit mit ihrer stumpf­sin­ni­gen Zer­le­gung in ein­zel­ne Hand­ha­bun­gen zukünf­tig von Maschi­nen erle­digt wer­den wird. Damit wird der ver­blei­ben­de Rest bereits sehr viel sinn­vol­ler und dem Men­schen mit sei­nen beson­de­ren Fähig­kei­ten sehr viel gerech­ter, ohne dass wir über­haupt etwas dafür tun müssen.

Den Rest wird das öko­no­mi­sche Prin­zip leis­ten, nach dem wir zwar viel erfin­den und aus­pro­bie­ren (und dafür auch Unsum­men an För­der­gel­dern ver­schwen­den) kön­nen, sich aber am Ende nur durch­set­zen wird, was ande­re als so sinn­voll emp­fin­den, dass sie bereits sind, einen aus­kömm­li­chen Betrag dafür zu bezah­len. Wenn wir das sub­jek­tiv im Ein­zel­fall nicht als sinn­voll emp­fin­den, dann soll­ten wir begin­nen, unse­ren Spar- und Bequem­lich­keits­wahn und unse­re Gedan­ken­lo­sig­keit als Kon­su­men­ten in Fra­ge zu stel­len, die für alles ver­ant­wort­lich sind, was in der Wert­schöp­fungs­welt schief­läuft. Dann for­dern wir bes­ser einen „New Con­su­mer Ethos“.

Und die Befrei­ung der Men­schen von der klas­si­schen Erwerbs­ar­beit? Wäre das nicht auch sinn­voll? Mit Sicher­heit. Auch das ist ein gro­ßer Fort­schritt, dass sich heu­te jeder vom Dik­tat des Unter­neh­mers befrei­en kann, indem er sich ohne gro­ße Hin­der­nis­se selb­stän­dig macht. Aller­dings soll­te er sich bewusst sein, dass der nur das Dik­tat des Chefs durch das Dik­tat des Kun­den ersetzt. Und das Dik­tat des Chefs eigent­lich auch nur das Dik­tat des Kun­den reprä­sen­tiert hat. Denn am Ende kön­nen wir unse­ren Wohl­stand nur stei­gern, wenn wir unse­re Tätig­kei­ten dar­auf rich­ten, Wer­te zu schaf­fen und ande­ren dabei zu hel­fen, ihre Bedürf­nis­se zu befrie­di­gen. Alter­na­ti­ven dazu haben wir im 20. Jahr­hun­dert aus­pro­biert, mit der Fol­ge ver­hee­ren­der Fehl­steue­run­gen, Inno­va­ti­ons­ver­lus­te und Staatspleiten.

Was fehlt uns jetzt über­haupt noch, um in der Arbeits­welt unter den Bedin­gun­gen der beschleu­nig­ten Auto­ma­ti­sie­rung erfolg­reich zu sein? Wenn wir bei­spiels­wei­se for­dern, den Men­schen in den Mit­tel­punkt zu stel­len, uns wie­der bewusst zu wer­den, dass wir nur als Gemein­schaft erfolg­reich sein kön­nen und dar­auf zu ach­ten, kei­ne Res­sour­cen zu ver­schwen­den, dann ist das zum einen selbst­ver­ständ­lich, weil Krea­ti­vi­tät und Neu­es aus­schließ­lich im Zusam­men­spiel von Men­schen gedei­hen kön­nen, zum ande­ren den­ke ich mir, das kennst Du doch. Das ver­brei­tet sich seit den 90er Jah­ren unter dem Stich­wort Lean um die Welt.

Und was ist mit all den tol­len Arbeits­be­din­gun­gen? Beque­me Büros, Home Office, Remo­te Work, Arbei­ten ohne Klei­der­ord­nung und Zwän­ge? All das, was wir tun, damit sich Mit­ar­bei­ter wohl­füh­len? Ich fürch­te, das ist nur Folk­lo­re, ein extrin­si­scher Wett­lauf um Äußer­lich­kei­ten. Denn Sinn für Höchst­leis­tung hat nichts mit Wohl­füh­len, son­dern mit der Selbst­ver­pflich­tung des ein­zel­nen auf ein höhe­res Ziel zu tun. In Los Ala­mos gab es kei­ne Chille­cken, Play Sta­ti­on, Mas­sa­gen oder Home Office. Nur die Idee, ver­bis­sen an einer Lösung zu arbei­ten, mir der sich der Krieg been­den ließ, und die­se schnel­ler zu fin­den als alle anderen.

Ich schlie­ße mit dem ein­drück­li­chen Zitat von Ulf Christiansen:

Ich dach­te immer ganz lan­ge, dass Spaß an der Arbeit etwas mit Unter­neh­mens­kul­tur, Feel­good Mana­ger etc. zu tun hat, aber für mich ist Spaß an der Arbeit tat­säch­lich, wenn man gemein­sam im Team etwas schafft, was einen Mehr­wert schafft und einen Sinn hat.

Damit ent­puppt sich New Work bei gut­mü­ti­ger Inter­pre­ta­ti­on als Lean plus ganz viel Folk­lo­re. Und wäh­rend sich irgend­wann her­aus­stel­len mag, dass es Bie­le­feld doch gibt, wird das bei New Work mit Sicher­heit nicht gesche­hen und es wird eine blas­se Erin­ne­rung auf dem Fried­hof ver­ges­se­ner Mode­wel­len bleiben.

 

Bild: unsplash.com, Emi­le Séguin

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