Warum wir immer zu viel Arbeit haben

Die Rückkehr der Untoten: Über Bring- und Holschuld
25. Juni 2018
Willkommen zum Tagestraining Projektmanagement
28. Juli 2018
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Neu­lich Abend kam mein Freund Uwe bei uns vor­bei, um sei­nen Sohn Keven vom Spie­len mit mei­nen Kin­dern abzu­ho­len, und er frag­te mich: „Na, Ingo, wie geht es dir, hast du genug Arbeit?“ Und ich lach­te und sag­te: „Mai und Juni waren ver­rückt, aber jetzt ist Feri­en­zeit.“ Und er sag­te: „Mach dir kei­ne Sor­gen, Ingo, die rich­ti­ge Men­ge an Arbeit gibt es nicht, es gibt immer nur zu viel oder zu wenig.“ Ich lach­te, sag­te „Du hast Recht“ und wir ver­ab­schie­de­ten uns.

Ein paar Tage spä­ter kaue ich immer noch an sei­ner Aus­sa­ge her­um. Ist das wirk­lich wahr? Natür­lich ist die Aus­sa­ge tri­vi­al kor­rekt, denn wie groß ist die mathe­ma­ti­sche Wahr­schein­lich­keit, genau die rich­ti­ge Men­ge an Arbeit zu haben, ver­gli­chen mit allen Mög­lich­kei­ten, nicht die rich­ti­ge Men­ge zu haben? Aber ist es wahr, dass „zu wenig“ Arbeit eben­so mög­lich ist wie „zu viel“ Arbeit, wie die Aus­sa­ge nahelegt?

Wenn „nicht genug Arbeit“ über­haupt mög­lich wäre, wür­den wir Leu­te sehen, die sich mel­de­ten und sag­ten „hey, ich habe nichts zu tun“, die mit­tags nach Hau­se gin­gen oder auf natür­li­che Wei­se irgend­ei­ne Art von locke­rer Zeit (Busi­ness slang: Slack-Time). ver­bräch­ten. Hat­te ich jemals jeman­den gese­hen, der Wis­sens­ar­beit ver­rich­tet und eine locke­re Zeit verbrachte?

Nein nicht wirk­lich. Und das gilt auch für mich. Zu der Zeit als ich ange­fan­gen habe, nach unse­ren Lean-Office-Regeln zu arbei­ten, ver­wen­de­te ich immer fünf und zwan­zig offe­ne Auf­ga­ben als mei­ne Schwel­len­wer­te, um mei­ne Arbeits­zei­ten anzu­pas­sen. Und obwohl ich mich von Zeit zu Zeit den fünf Auf­ga­ben näher­te, kam ich nie dar­un­ter, obwohl ich mei­ne obe­re Schwel­le regel­mä­ßig und leicht über­schrei­ten konnte.

Nein, es gibt kei­ne Slack-Zeit, da eini­ge bemer­kens­wer­te Din­ge pas­sie­ren, wenn die Arbeit weni­ger wird: wir heben zur Abwechs­lung mal wie­der unse­ren Kopf, schau­en uns um, spre­chen mit Men­schen und neh­men die Mil­lio­nen von Mög­lich­kei­ten, mit anzu­fas­sen oder unse­ren Kol­le­gen zu hel­fen, bewusst wahr, was uns sofort neue Arbeit ver­schafft. Gleich­zei­tig gibt uns unser Unter­be­wusst­sein Auf­ga­ben zurück, die wir in der Pha­se unter­drückt haben, als wir zu viel zu tun hat­ten. Um unse­re Arbeit so gut wie mög­lich zu machen und unse­re Auf­ga­ben pünkt­lich zu erle­di­gen, pas­sen wir unse­ren Detail­lie­rungs­grad und unse­re Sorg­falt zudem immer an die zur Ver­fü­gung ste­hen­de Zeit an. Dies ist ein auto­ma­ti­scher und mensch­li­cher Mecha­nis­mus, der all­ge­mein als Par­kin­sons Gesetz bekannt ist. Das bedeu­tet, dass sich die ver­blei­ben­de Arbeit aus­dehnt. Dar­über hin­aus las­sen wir vie­le kur­ze Zeit­ni­schen unge­nutzt, weil es sich nicht lohnt, etwas Neu­es zu begin­nen, oder weil wir gera­de kei­ne pas­sen­de klei­ne Auf­ga­be zur Hand haben. Dann wer­fen wir einen schnel­len Blick auf das Smart­phone oder unse­re Mails. Oder wir las­sen die Auf­ga­be schlicht­weg aus­lau­fen, bis der nächs­te Ter­min beginnt oder der nächs­te Kun­de anruft.

Aus die­sen Grün­den liegt Uwe prak­tisch falsch, obwohl er theo­re­tisch recht hat: Zu wenig Arbeit gibt es nicht. Son­dern wir haben immer und aus­schließ­lich zu viel zu tun. Punkt. War­um ist die­se Ein­sicht – so tri­vi­al wie sie scheint – so wich­tig? Weil wir oft Leu­te tref­fen, die sagen: „Ich möch­te bes­ser orga­ni­siert sein, aber bei mir funk­tio­niert es nicht, weil ich immer zu viel Arbeit habe.“ Ab sofort ant­wor­ten wir: „Ja, ist klar, will­kom­men im Club!“

Und wir wis­sen jetzt sogar, wie wir damit umge­hen sol­len: Wir erken­nen, dass es fatal ist zu sagen „ich mache das, sobald ich mei­nen Tisch sau­ber habe“ (weil es nie­mals pas­sie­ren wird). Eben­so fatal ist es, Din­ge auf unse­re To-Do-Liste zu set­zen, die getan wer­den müs­sen, die uns aber in unse­rer para­no­iden Ope­ra­tio­na­li­tät ins­ge­heim nicht so wich­tig sind – Din­ge von stra­te­gi­scher, orga­ni­sa­to­ri­scher und vor allem kom­mu­ni­ka­ti­ver Bedeu­tung. Weil sie dort für immer die rote Later­ne des Letz­ten behal­ten wer­den. Das gilt übri­gens auch, wenn wir bei sol­chen The­men in unse­rem Team her­um­fra­gen „wann habt Ihr denn Zeit dafür?“

Es gibt nur einen Weg, um die­se Din­ge zu erle­di­gen, Slack-Zeit zu garan­tie­ren, kon­ti­nu­ier­li­che Ver­bes­se­run­gen zu errei­chen oder sogar regel­mä­ßig mit­ein­an­der zu kom­mu­ni­zie­ren: Wir müs­sen dafür Zeit in unse­rem Kalen­der reser­vie­ren. Und uns dar­an halten.

Bild: uns­plash, Davi­de Ragusa

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