Zwischen Tokyo und Madrid – über den Umgang mit Regeln

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Mit Regeln ist das so ein Ding. Wer mal in Japan war, weiß, wie das ist, wenn es Regeln gibt. Vie­le Regeln. Und wer mal in Japan erlebt hat, wie sehr dem Japa­ner selbst ein fahr­läs­si­ger tou­ris­ti­scher Regel­ver­stoß rich­tig­ge­hend kör­per­lich zuzu­set­zen ver­mag, weiß, wie ernst dort die Ein­hal­tung von Regeln genom­men wird. Das Gegen­teil machen nach unse­rem gemei­nen Welt­bild die Spa­ni­er, die in dem Ruf ste­hen, nichts wirk­lich rich­tig genau zu neh­men und eine Ver­ab­re­dung zu einer fes­ten Zeit als vage Absichts­er­klä­rung zu verstehen.

Und wir? Wir ste­hen irgend­wo dazwi­schen. Man­che Regeln – wie das Müll­sor­tie­ren – sind uns wich­tig, Ver­kehrs­re­geln legen wir ger­ne groß­zü­gig aus und man­che  – meist Ver­bo­te – igno­rie­ren wir schlicht­weg. Wir fin­den das auch ok, fünf Minu­ten zu spät zu kom­men. Außer wir sind mit der Deut­schen Bahn unter­wegs, dann wol­len wir unser Geld zurück. Und ich fra­ge mich, was genau ich von die­sem Mix aus Kon­for­mis­mus und Krea­ti­vi­tät hal­ten soll. Ist das viel­leicht ein wich­ti­ger Teil unse­rer his­to­ri­schen Erfol­ge? Oder ein­fach nur das öko­no­misch gera­de noch tole­rier­ba­res Maß an Verschwendung?

Tat­säch­lich fin­den wir Regeln mal enorm wich­tig, mal spie­ßig. Und jeder erlaubt sich ein eige­nes Bild davon, was er von wel­cher Regel hält. Das Ergeb­nis sehen wir, wenn einer zu spät zum Mee­ting kommt oder an den Warte“wolken“ beim Bäcker und an der Bus­hal­te­stel­le. Wo jeder­zeit Tumul­te aus­bre­chen kön­nen. Und damit begin­nen die Pro­ble­me. Denn Regeln sol­len uns eigent­lich die Ori­en­tie­rung erleich­tern und ver­hin­dern, dass wir immer erst müh­sam dis­ku­tie­ren müs­sen oder über einen Sach­ver­halt sogar in Kon­flikt gera­ten können.

Und doch pas­siert es uns immer wie­der, dass wir gera­de in Fir­men spon­tan neue Regeln erfin­den. Sagen wir mal Mon­tag halb elf, nach­dem wir gera­de ein­ein­halb Stun­den die Kri­se vom Wochen­en­de dis­ku­tiert haben. Das müs­sen wir unbe­dingt mal grund­sätz­lich regeln.  Was dann im Detail pas­siert, ist nicht halb so ein­deu­tig: Denn ein Fünf­tel des Teams ist nicht anwe­send und bekommt die neue Regel auf Dau­er gar nicht mit. Ein Fünf­tel bekommt spä­ter eine durch stil­le Post ver­fälsch­te Ver­si­on über­lie­fert. Ein Fünf­tel hält sich an das Bespro­che­ne. Ein Fünf­tel war dabei, hat es aber ganz anders ver­stan­den. Und ein Fünf­tel war von Anfang an ande­rer Mei­nung und pro­biert es mit eige­nen viel bes­se­ren Vari­an­ten der Regel. Und so ent­steht fak­tisch ein ähn­lich bun­tes Trei­ben wie ohne Regel, nur dass Streit dar­über ent­brennt, weil sich die jeweils ande­ren ver­meint­lich nicht an die bespro­che­ne Regel halten.

Beson­ders gra­vie­rend sind die Kon­se­quen­zen: da wir ja schon ein­mal ange­fan­gen haben, dass jeder die Fir­ma ein Stück weit durch sei­ne eige­ne Bril­le sehen darf, pflanzt sich das wei­ter fort: Son­der­wün­sche? Ger­ne. Indi­vi­du­el­le Arbeits­wei­sen? Sehr nütz­lich. Viel­fäl­ti­ge Pro­zes­se? Pflicht. So sieht es aus, das frü­he 21. Jahr­hun­dert in deut­schen Unternehmen.

Und wie machen wir es rich­tig? Dazu ein Bei­spiel aus der pri­va­ten Welt: der Fuß­ball­trai­ner mei­nes Soh­nes hat eine Whattsapp-Gruppe eröff­net, die er als Mode­ra­tor auf­grund der hohen Betei­lig­ten­zahl zur Info­grup­pe erklärt hat. Das bedeu­tet, er ver­öf­fent­lich dort Infor­ma­tio­nen, alle Ant­wor­ten und mög­lichst auch alle Kom­men­ta­re und Fra­gen sind bila­te­ral nur an ihn zu rich­ten. Simp­le Regel. Ein Jahr spä­ter kann ich mit Sicher­heit behaup­ten, es funk­tio­niert. Alle ver­ste­hen den Sinn und beach­ten die Regel (weil sie sonst vor lau­ter Nach­rich­ten ver­rückt wür­den). Es gab in die­ser Zeit einen Ver­stoß, dem eine freund­li­che Erin­ne­rung folg­te. Neu­lin­ge wur­den und wer­den von ihm eben­falls bila­te­ral instruiert.

Und genau­so müs­sen wir das in unse­ren Fir­men auch machen: es muss klar sein, wer (bzw. wel­cher Kreis) berech­tigt ist und über­haupt aus wel­chem Anlass Regeln erfin­den darf. Und wel­chen Vor­teil die Regeln haben. Ihre Zahl muss so über­schau­bar sein, dass wir sie in zehn Minu­ten begrei­fen und nach einer Woche mühe- und aus­nahms­los befol­gen kön­nen. Und wir müs­sen sie im eige­nen Inter­es­se voll­stän­dig dokumentieren.

Und das bedeu­tet, dass wir auch fest­hal­ten, war­um wir sie ein­ge­führt haben, was der Vor­teil ist und was jeder ein­zel­ne davon hat. Sozia­le Begleit­pa­ra­me­ter, die ger­ne mit Kom­men­ta­ren wie „wir brau­chen gar kei­ne Regel“, „und schon wie­der mehr Büro­kra­tie“, „das ist doch Ver­schwen­dung, dar­über zu reden“, „das ist doch selbst­ver­ständ­lich“ oder „das machen wir doch schon“ vom Tisch gewischt werden.

Und dann neh­men wir uns am bes­ten auch Zeit für eine regel­mä­ßi­ge Auf­fri­schungs­run­de, in der wir uns an unse­re selbst auf­er­leg­ten Regeln erin­nern und über ihre Wei­ter­ent­wick­lung spre­chen. Und da sind dann natur­ge­mäß alle Team­mit­glie­der anwe­send. Oder wer­den am Fol­ge­tag aus­führ­lich über die Inhal­te infor­miert. Klingt auf den ers­ten Blick viel­leicht müh­sam. Aber spart Unmen­gen ver­schwen­de­ter Ener­gie und bringt oben­drein ein biss­chen japa­ni­sche Ord­nung in unser Leben. Und das ganz ohne Flugreise…

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