Herkules gegen Goliath – Über die Zukunft der Einzelfertigung

Spass haben auch ohne Scrum
1. Februar 2018
„Ich habe immer einen Mitarbeiter mehr, als ich brauche…“
12. März 2018
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In Kür­ze tref­fen wir uns vom ife in Leip­zig zum Kon­gress für Ein­zel­fer­ti­ger, um über die Per­spek­ti­ven des Geschäfts­mo­dells der Einzel-, Projekt- bzw. Auf­trags­fer­ti­ger zu dis­ku­tie­ren. Ein­zel­fer­ti­ger zeich­nen sich dadurch aus, dass sie in jedem Auf­trag irgend­et­was schaf­fen, das so in der Form noch nicht dage­we­sen ist, und damit min­des­tens zum Teil ein­zig­ar­ti­ge Kunden­probleme lösen. Sie sind über­all da anzu­tref­fen, wo Pro­duk­te etwas mit ver­än­der­li­chem Geschmack von Men­schen zu tun haben, wo exklu­si­ve Luxus­be­dürf­nis­se erfüllt wer­den, wo geforscht oder Neu­es ent­wi­ckelt wird (auch Auto­ma­ti­sie­rungs­lö­sun­gen für die Mas­sen­fer­ti­gung), oder wo eine begrün­de­te phy­si­ka­li­sche, wirt­schaft­li­che oder ideo­lo­gi­sche Anders­ar­tig­keit den Ein­satz vor­han­de­ner Stan­dard­lö­sun­gen verbietet.

Ein­zel­fer­ti­ger fin­den wir über­all, ins­be­son­de­re im Dienst­leis­tungs­be­reich, sei es als Hand­wer­ker, Projekt- und Soft­ware­ent­wick­ler, Wer­be­agen­tu­ren, Archi­tek­ten, Anwäl­te oder Bera­ter (die Lis­te ist natur­ge­mäß unend­lich). Wir fin­den sie im Bau sowie im Maschinen- und Anla­gen­bau, wo sie Pro­duk­ti­ons­an­la­gen für ande­re Fir­men her­stel­len, und in den Forschungs- und Ent­wick­lungs­ab­tei­lun­gen von Indus­trie­un­ter­neh­men. Sie alle unter­lie­gen Über­ra­schun­gen und Ver­än­de­run­gen der Pro­duk­te bzw. der Kun­den­wün­sche im Ent­ste­hungs­pro­zess, der Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen, -ergeb­nis­se oder der Pro­dukt­men­gen, was eine beson­de­re Fle­xi­bi­li­tät von ihnen ver­langt. In den letz­ten Jah­ren gerät die kun­den­in­di­vi­du­el­le Ein­zel­an­fer­ti­gung zuneh­mend unter Druck von Serien- und Mas­sen­an­bie­tern, die über auto­ma­ti­sier­te Kon­fi­gu­ra­to­ren deut­lich mehr Pro­dukt­va­ri­anz und Indi­vi­dua­li­tät als in der Ver­gan­gen­heit bie­ten kön­nen, und das stück­zahl­be­dingt immer zu güns­ti­ge­ren Preisen.

Des­halb müs­sen wir uns die Fra­ge stel­len, wie sich zuneh­men­de Auto­ma­ti­sie­rung und Indi­vi­dua­li­sie­rung (sowie wei­te­re Zukunfts­trends) auf Einzel-, Serien- und Mas­sen­fer­ti­ger und ihre jewei­li­gen Markt­po­si­tio­nen aus­wir­ken wer­den. Wer wird den Wett­lauf gewin­nen? Wird es zukünf­tig über­haupt noch Ein­zel­fer­ti­ger geben oder wer­den sogar alle Fir­men zu Einzelfertigern?

Um die Fra­ge in ihrer Viel­falt zu beant­wor­ten, nähern wir uns am bes­ten über die ein­fa­che Vari­an­te, die Ein­zel­fer­ti­gung von Dienst­leis­tun­gen. Hier ist sie das domi­nie­ren­de Geschäfts­mo­dell. Zwar gibt es auch Stan­dard­lö­sun­gen, doch wer­den die­se bereits heu­te, spä­tes­tens aber zukünf­tig, auto­ma­ti­siert erbracht, mut­maß­lich von Online-Anbietern (z.B. Steu­er­be­ra­tung ab 69 Euro im Monat, Mus­ter­ver­trä­ge von Rechts­an­wäl­ten usw. usw.). Damit ver­bleibt den loka­len Dienst­leis­tern nur das Geschäft, bei dem es um ech­te kun­den­in­di­vi­du­el­le Lösun­gen geht (in wel­cher Facet­te auch immer, sei es auf­grund von Funk­ti­on, Kom­fort oder Lie­fer­zeit etc.). Oder um not­wen­di­ge Arbeit mit Men­schen. Dabei wer­den der Markt­druck und der Wett­be­werb dafür sor­gen, dass ihre jewei­li­ge inhalt­li­che Nische immer klei­ner wer­den wird und der Markt ört­lich immer grö­ßer defi­niert wer­den muss. Und mit jedem wei­te­ren Indi­vi­dua­li­sie­rungs­schritt der auto­ma­ti­sier­ten Wett­be­wer­ber wer­den sie ein Stück wei­ter aus­wei­chen und immer neue indi­vi­dua­li­sier­te Lösun­gen schaf­fen. Die Auf­recht­erhal­tung des Geschäfts­mo­dells wird umso bes­ser gelin­gen, je dyna­mi­scher sich die Bedürf­nis­se auf dem jewei­li­gen Markt ent­wi­ckeln und je schwe­rer es den Mas­sen­an­bie­tern fällt, mit auto­ma­ti­sier­ten Lösun­gen zu folgen.

In ihrem Kern­be­reich wer­den sie ein­zig­ar­ti­ge Men­schen ein­set­zen, um zu beson­ders intel­li­gen­ten Lösun­gen zu gelan­gen, und markt­sei­tig wer­den sie mit vie­len Part­nern koope­rie­ren, um hin­rei­chend viel Auf­merk­sam­keit und Auf­trä­ge zu erhal­ten. Gleich­zei­tig wer­den sie sich bei der Leis­tungs­er­brin­gung für alle stan­dar­di­sier­ten Auf­ga­ben, wie Homepage-Erstellung, Auf­trags­ab­wick­lung, Buch­hal­tung oder Ein­kauf zuneh­mend stan­dar­di­sier­ter Lösun­gen bedie­nen. Wobei die Her­aus­for­de­rung nicht dar­in besteht, wie­der­keh­ren­de Auf­ga­ben zu stan­dar­di­sie­ren, son­dern dafür vor­han­de­ne Markt­lö­sun­gen zu fin­den, die kost­spie­li­ge Eigen­ent­wick­lun­gen ent­behr­lich machen. Am Ende wird jeder dienst­leis­ten­de Ein­zel­fer­ti­ger so über­re­gio­nal wie mög­lich agie­ren und Teil eines ver­zweig­ten Netz­wer­kes sein.

Im Ver­gleich zu Ein­zel­fer­ti­gern in die­sen Bran­chen ist die Situa­ti­on im Maschinen- und Anla­gen­bau etwas dif­fi­zi­ler: Klas­sisch haben die­se Anbie­ter als Think-Tanks ihrer Kun­den fun­giert und ihnen aus­ge­feil­te Pro­duk­ti­ons­mit­tel zur Ver­fü­gung gestellt. Auf die Fra­ge „was ist der Kun­den­nut­zen?“ haben sie „mit unse­ren Maschi­nen pro­du­zie­ren“ geant­wor­tet. Ihre Pro­duk­te sind erklä­rungs­be­dürf­tig und neben den guten Ideen küm­mern sie sich um die meis­ten Schrit­te ihrer Wert­schöp­fungs­ket­te selbst, von Tei­le­fer­ti­gung über Mon­ta­ge, Inbe­trieb­nah­me bis hin zum After Sales Ser­vice. Im Ergeb­nis ver­fü­gen sie über eine sehr gro­ße Wert­schöp­fungs­tie­fe, ihre Pro­duk­te sind regel­mä­ßig die leis­tungs­fä­higs­ten auf ihrem Markt und auf­grund der gering(st)en Stück­zah­len pro­du­zie­ren sie zu den höchs­ten Kos­ten und beset­zen die hoch­prei­si­gen Marktpositionen.

Schon heu­te ste­hen die­se Her­stel­ler aus ver­schie­de­nen Rich­tun­gen unter Druck: Ihre Abneh­mer sind ihrer­seits zuneh­men­den Schwan­kun­gen und dis­rup­ti­ven Risi­ken aus­ge­setzt (Bei­spiel Auto­mo­bil­in­dus­trie) und mit zuneh­men­der Markt­dy­na­mik sinkt deren Bereit­schaft, kost­spie­li­ge oder sogar lang­jäh­ri­ge Inves­ti­tio­nen zu täti­gen. Lösun­gen mit gerin­ge­rem Auto­ma­ti­sie­rungs­grad, hohem Stan­dar­di­sie­rungs­an­teil, mit Finan­zie­rungs­bau­stei­nen oder grö­ße­rer Pro­dukt­fle­xi­bi­li­tät wer­den attrak­ti­ver. Das spielt den Lie­fe­ran­ten von Stan­dard­pro­duk­ten in die Karten.

Wei­ter­hin wer­den die Maschinen- und Anla­gen­bau­er ins­be­son­de­re im Aus­land von „good-enough“ Wett­be­wer­bern bedrängt, die nur den not­wen­digs­ten Teil der Pro­dukt­funk­tio­nen abde­cken und die des­halb und Dank ihrer Her­kunft über deut­lich güns­ti­ge­re Kos­ten­struk­tu­ren ver­fü­gen. Sie gewin­nen mit der glo­ba­len Pro­duk­ti­ons­ver­la­ge­rung in Wachs­tums­märk­te bzw. die Län­der mit den nied­rigs­ten Pro­duk­ti­ons­kos­ten – ihre Hei­mat­län­der – auf natür­li­che Wei­se immer mehr Marktanteile.

Des­halb müs­sen unse­re Maschinen- und Anla­gen­bau­er ihre Kos­ten­po­si­ti­on auf brei­ter Front ver­bes­sern und ihre Maschi­nen ent­ge­gen der deut­schen Ingenieurs-DNA kon­se­quent ver­ein­fa­chen. Dabei wer­den sie gezwun­gen sein, güns­ti­ge­re Beschaf­fungs­quel­len und gerin­ge­re Qua­li­tä­ten ein­zu­set­zen, ihre Pro­duk­ti­on zu loka­li­sie­ren, die Pro­duk­te zu modu­la­ri­sie­ren, alles Wie­der­keh­ren­des zu stan­dar­di­sie­ren und neue Ansät­ze – wie 3D-Druck – zu nut­zen. Der mög­li­che Strauß an Maß­nah­men ist eben­so breit, wie die Wert­schöp­fungs­tie­fe groß ist. Wobei jeder Stan­dar­di­sie­rungs­schritt die Gefahr birgt, ein Stück Ein­zig­ar­tig­keit und Exis­tenz­be­rech­ti­gung zu ver­lie­ren, ohne das Kos­ten­ni­veau der Mas­sen­fer­ti­ger jemals errei­chen zu kön­nen. Was es eben­falls nicht ein­fa­cher macht, ist der Umstand, dass das Geschäfts­mo­dell des Ein­zel­fer­ti­gers pro­jekt­ori­en­tiert ist und tra­di­tio­nell kaum auf­trags­an­ony­me Inves­ti­tio­nen kennt. Weil kei­ner im Vor­feld die Fra­ge beant­wor­ten kann: auf wie­viel Stück wird sich die Inves­ti­ti­on denn verteilen?

Des­halb gilt ähn­lich wie bei den ein­zel­fer­ti­gen­den Dienst­leis­tern, sich lang­fris­tig zu fokus­sie­ren und immer weni­ger von dem sel­ber zu machen, was ande­re güns­ti­ger kön­nen, und zudem aus­zu­wei­chen in Pro­dukt­ni­schen, die von den Standard- und „good-enough“-Herstellern nicht bedient wer­den. Neben Modernisierungs- und Kapazitäts­steigerungs­kampagnen lie­gen Chan­cen in Pro­duk­ten, in denen auch Dienst­leis­tun­gen ent­hal­ten sind: tech­ni­sche Recher­chen und Bera­tung, Maschi­nen­ser­vice, Daten­samm­lung über Sen­so­ren, Ver­net­zung, Betrei­ber­mo­del­le etc. sowie Hybrid­lö­sun­gen mit ande­ren Lie­fe­ran­ten der Kun­den. Ent­spre­chend der jewei­li­gen Bran­chen­be­dürf­nis­se. Das wird immense Anfor­de­run­gen an den Ver­trieb der Maschi­nen­bau­er stel­len, der bis­her nur Hard­ware an welt­weit viel­leicht vier bis sechs Hän­de voll Men­schen ver­kauft hat. Und sie wer­den robus­ter orga­ni­siert sein müs­sen, weil der Markt kaum noch Feh­ler oder deren Fol­ge­kos­ten und Ver­spä­tun­gen toleriert.

Ins­ge­samt sind Mas­sen­her­stel­ler im Vor­teil, da sie dank ihrer men­gen­be­ding­ten Kos­ten­vor­tei­le muti­ger inves­tie­ren kön­nen und sie wer­den ihre Kos­ten­vor­tei­le mit jedem Auto­ma­ti­sie­rungs­schritt und Men­gen­zu­wachs aus­bau­en kön­nen. Aber Ein­zel­fer­ti­ger wer­den wei­ter­hin für Neu­es zustän­dig blei­ben. Sie wer­den mitKrea­ti­vi­tät, Fokus­sie­rung (auf das Neue und Ein­zig­ar­ti­ge) und Koope­ra­tio­nen auf die Her­aus­for­de­rung reagie­ren. Im Ergeb­nis wer­den sich die Ein­zel­fer­ti­ger im Maschi­nen­bau als Produktions­prozess­experten ver­ste­hen ler­nen und immer wei­ter den Ein­zel­fer­ti­gern in der Dienst­leis­tung anglei­chen, um ihren berech­tig­ten Platz neben den Massen- und Vari­an­ten­fer­ti­gern zu ver­tei­di­gen. Und sobald sie etwas Neu­es geschaf­fen haben, wer­den allein die (glo­ba­len) Stück­zah­len sowie die Unter­schied­lich­keit der Bedürf­nis­se dar­über ent­schei­den, wie weit sich eine Stan­dar­di­sie­rung und damit Varianten- oder Mas­sen­fer­ti­gung lohnt:

Und über­all da, wo sie loh­nend ist, wird sie auch stattfinden.

Alles in allem ste­hen ins­be­son­de­re die Ein­zel­fer­ti­ger im Maschinen- und Anla­gen­bau vor größ­ten Her­aus­for­de­run­gen. Aller­dings ver­fü­gen sie aus ihrem Geschäfts­mo­dell her­aus über ein gro­ßes Maß an Offen­heit und Fle­xi­bi­li­tät und damit über bes­te kul­tu­rel­le Vor­aus­set­zun­gen dafür, dass ihnen die Anpas­sung gelin­gen kann.

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