Spätmitteleuropäische Freizeitgesellschaft

Der Fluch der Zuständigkeit
22. Januar 2019
LOPE befreit von Beständen, dem Stressfaktor Nummer 1 im Leben!
16. Februar 2019
Der Fluch der Zuständigkeit
22. Januar 2019
LOPE befreit von Beständen, dem Stressfaktor Nummer 1 im Leben!
16. Februar 2019

Im Ost­west­fä­li­schen lern­te ich vor kur­zem eine Unter­neh­mer­fa­mi­lie ken­nen. Wir spra­chen über unse­re Kin­der und die Mut­ter mit rus­si­schen Wur­zeln erzähl­te mir wie selbst­ver­ständ­lich, dass ihr 12jähriger Sohn sei­ne drei Kilo­me­ter zur Schu­le lau­fen müs­se. Jeden Tag. Kurz blitz­te es in mir auf: „Ist das nicht ver­bo­ten? Muss man das dem Jugend­amt mel­den?“ Sol­che Gedan­ken wol­len bestimmt auch die Eltern der Mit­schü­le­rin mei­ner Jungs ver­mei­den, die ihre 12jährige Toch­ter jeden Mor­gen die 300 m zum Schul­bus beglei­ten und dort war­ten, bis sie ein­ge­stie­gen ist. Dabei sind wir hier nicht in Köln Kalk, son­dern in der Nord­deut­schen Kuschelebene.

Gilt die beson­de­re Für­sor­ge für unse­re Kin­der bereits als nor­mal, begeg­nen mir zuletzt immer mehr Din­ge, über die ich mich nur wun­dern kann: Geschäfts­füh­rer, die sich um ihre per­sön­li­che Ent­fal­tung küm­mern, statt mit aller Kraft an der Wei­ter­ent­wick­lung ihrer Fir­ma zu arbei­ten. Ande­re erzäh­len mir, sie wol­len end­lich weni­ger oder kein Risi­ko mehr haben. Ruhig und schön gleich­mä­ßig soll es zuge­hen. Oder sie lieb­äu­geln im bes­ten Alter mit dem Rück­zug ins Pri­vat­le­ben bzw. sagen „…und bis 65 arbei­te ich nicht.“ Zur Zeit kann man ja sei­ne Fir­ma für gutes Geld ver­kau­fen. Wie­der ande­re träu­men davon, nur noch 4 Tage die Woche zu arbei­ten. Und Mit­ar­bei­ter reden ver­brei­tet schon von der 3-Tage-Woche. Das wird nur noch über­trof­fen von unse­ren Kin­dern, die spä­ter alle ihr Geld mit Com­pu­ter­spie­len ver­die­nen und dabei Lam­bor­ghi­ni fah­ren wol­len. Und von der ver­rück­ten Sehn­sucht nach dem bedin­gungs­lo­sen Grundeinkommen.

Das ist nicht nur Hum­bug, weil es unfi­nan­zier­bar ist. Son­dern auch, weil wir uns seit Jahr­zehn­ten im Umbau befin­den und bereits Mil­lio­nen Arbeits­plät­ze im Dienst­leis­tungs­be­reich geschaf­fen haben, die die weg­fal­len­den Arbeits­plät­ze in der Land­wirt­schaft, im Berg­bau, in der Indus­trie, in Ban­ken und Dru­cke­rei­en ersetzt haben. War­um soll­ten wir das nicht fort­set­zen kön­nen? Die Fra­ge ist doch nur: Ist unser Bil­dungs­sys­tem gut genug und sind wir von unse­rer Men­ta­li­tät fle­xi­bel genug, dar­auf vor­be­rei­tet zu sein oder uns recht­zei­tig anpas­sen zu kön­nen? So dass wir die krea­ti­ven Arbeits­plät­ze in Deutsch­land hal­ten kön­nen, die uns unser gewohn­tes Ein­kom­mens­ni­veau ver­schaf­fen. Aber selbst, wenn wir das nicht schaf­fen, dann wan­dern wir halt aus. Nach Ame­ri­ka, Asi­en oder gleich nach Afri­ka, wo die Industrie-Arbeitsplätze der Zukunft sind. Was aller­dings nur dann geht, wenn sie uns nicht mit Zäu­nen an der Ein­wan­de­rung hindern.

Abge­se­hen davon, dass wir uns wünsch­ten, für unser Nichts­tun bezahlt zu wer­den. War­um sind wir bereit, auf Geld zu ver­zich­ten und mit zwei Tagen Arbeit pro Woche aus­zu­kom­men? Was wol­len wir mit all der Zeit anfan­gen?  Unse­re Mobilfunk-Flatrate spren­gen? Medi­ta­ti­ons­welt­meis­ter wer­den? Oder unse­re Hun­de zu Tode ausführen?

Beden­ken wir bit­te, dass wir uns mit allem, womit wir uns im Leben gut aus­ken­nen wol­len, beschäf­ti­gen müs­sen. Grund­sätz­lich und jeweils dann, wenn wir etwas Neu­es anfan­gen. Das bedeu­tet, dass wir dafür Zeit inves­tie­ren. Und wann immer wir das tun, ent­schei­det das Aus­maß dar­über, wo wir im Wett­be­werb mit ande­ren lan­den wer­den. War­um woll­ten wir frei­wil­lig dar­auf ver­zich­ten, der Bes­te zu sein? Was ist dar­an so ver­hei­ßend, jeman­dem in Hude, Hel­sin­ki oder Hanoi den Vor­tritt zu las­sen, nur weil er sich nicht scheut, jede freie Minu­te in sei­ne Pas­si­on oder sein Geschäft zu ste­cken? Und haben wir ver­ges­sen, dass jede Meis­ter­schaft vor­aus­setzt, sich 10.000 Stun­den mit etwas beschäf­tigt zu haben? Wenn er seit jeher nur zwei Tage pro Woche trai­niert hät­te, in wel­chem Alter wür­de Lio­nel Mes­si dann auf dem Höhe­punkt sei­nes Kön­nens ange­kom­men sein? Mit 70 Jah­ren? Was wür­de ihm das im Ange­sicht sei­ner köper­li­chen Ver­fas­sung dann noch nüt­zen? Wir jeden­falls hät­ten nie von ihm gehört.

Hören wir doch auf, uns frei­wil­lig von der Büh­ne des Lebens zu ver­ab­schie­den: Wenn wir unse­re Welt im rasan­ten glo­ba­len Wan­del mit­ge­stal­ten wol­len, dann geht das nur dadurch, dass wir unse­re Zie­le mit eben der­sel­ben Lei­den­schaft und dem­sel­ben bedin­gungs­lo­sen Zeit­ein­satz ver­fol­gen wie frü­her. Nur dop­pelt so stark….

 

Foto: www.unsplash.com Kinga Cichewicz

    *Pflichtfelder